Die (Neu-) Landgewinnung hat an der Nordseeküste eine jahrhundertealte Tradition. Sinn und Zweck ist es zum Einen, neue Flächen für die Land- und Viehwirtschaft zu erschliessen, zum Anderen, die vorhandenen Flächen vor Sturmfluten zu schützen.

In einem ersten Schritt werden Holzpflöcke in das Wattenmeer eingeschlagen und mit Reisigteilen zu einer kleinen "Mauer" verbaut. Die zweimal pro Tag vorkommende Flut überspült die eingezäunten Flächen und bringt Sand und andere Sedimente mit sich, die sich im beruhigten, umzäunten Bereich absetzen und diese Zone auffüllen.

Mit der Zeit sind diese Flächen so hoch, daß sie nur noch selten überspült werden und nun siedeln sich Salzwasserpflanzen an. Nun werden die Flächen mit einer kleinen Stein- oder Betonmauer stabiler eingefaßt und mit der Zeit entstehen sogar Wiesenflächen.

Sobald auf diese Weise nun einige hundert Meter dem Meer entzogen worden sind, muß das Hinterland vor hohem Meeresstand, insbesondere vor Sturmfluten geschützt werden, um es dauerhaft einer Nutzung zuführen zu können.

Dieses geschieht durch Deichanlagen, d.h. künstlich erbaute Erdwälle.

Copyright des obigen Bildes: Sielanlage in Neuharlingersiel

Um dem Meer möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten, steigen die Deiche langsam an, wobei im Innern ein fester Sandkern dem Wall Stabilität verleiht. Die oberste Deichhaut bildet eine geschlossene Rasendecke, die vom Deichgrafen immer wieder auf Beschädigungen untersucht werden muß. Eine wichtige Funktion bei der Pflege der Deichanlagen üben die Schafe aus: zum Einen halten sie die Grasnabe kurz und zum Anderen verdichten Sie mit ihren Trippelschritten das Erdreich unter ihnen (Bild unten links). Überhaupt nicht beliebt dagegen sind Karnickel, denn mit ihren Höhlen und Gängen durchlöchern sie den Deich.

Damit die Menschen einen Zugang zum Meer haben, führen entweder gepflasterte Wege über den Deich oder es werden massive Tore in den Deich gebaut, die bei einer Sturmflut geschlossen werden und dem tobenden Meer standhalten müssen (Bild unten rechts).

Die so geschaffenen Flächen sind allerdings "feucht", denn durch die unmittelbare Nähe des Meeres liegt der Grundwasserspiegel, d.h. das von unten hochdrückende Wasser, nahezu an der Oberfläche. Daher sind die neuen Grundstücke von einem ausgedehnten Netz von Entwässenrungskanälen durchzogen, die dieses Wasser aufnehmen und zu Entwässerungsanlagen transportieren. Da entwässern "sielen" bedeutet, werden diese Anlagen auch Sielanlagen genannt und die dort entstandenen Orte haben als Endung häufig "siel", z.B. Neuharlingersiel oder Bensersiel.

Im Prinzip sind Sielanlagen nicht anderes als große Tore, die bei Niedrigwasser des Meeres, also bei Ebbe, geöffnet werden und das Wasser ins Meer ablassen. Dieses geschieht wieder zweimal am Tag und ist sehr effektiv. Falls jedoch auf Grund besonderer Umstände die Tore nicht geöffnet werden können (z.B. wegen besonderer Flut- oder Windkonstellationen) wird das Wasser mittels starker Pumpen über die Deichkrone ins Meer befördert.

Nach vielen Jahren ist diese Fläche dann endlich "trocken" und kann auch für Wohnbauten, Straßen etc. genutzt werden. Dann wurde auf der Meerseite hoffentlich bereits die nächste "Eroberung" begonnen und die nächsten Flächen dem Meer abgetrotzt.

Copyright der Zeichnung: Sielanlage in Carolinensiel
Copyright 2006 für alle Texte und Bilder Dr. Birgit Zwang und Michael Fehr mit Ausnahme der explizit bezeichneten Bilder und Zeichnungen